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Landbote vom 20.01.2003


 "Poetischer Blick auf ein anderes Amerika"
Jim Boyd in der Alten Kaserne
von Rolf Wyss

Der indianische Singer/Songwriter Jim Boyd hat am Samstag auf die schwierige Situation seines Volkes hingewiesen.

Die Szenerie beim Eingang glich eher einem Basar als einem gewöhnlichen Liedermacherabend. Linkerhand stand ein Getränkestand für durstige Kehlen bereit, und auf der rechten Seite war ein grosszügiger Stand aufgebaut, wo allerhand Kunsthandwerk verkauft wurde. Natürlich kein Ramsch, wie er an diversen Schweizer Märkten immer wieder feilgeboten wird, sondern sorgfältig gefertigte Kunstgegenstände und Kleider aus diversen Reservaten der "Native Americans", wie die meisten Indianer heute genannt werden möchten. Importiert werden sie vom Schweizer Charly Juchler, der seit zwölf Jahren in South Dakota lebt. Er präsentierte vor dem Konzert eine Diaschau mit packenden Bildern aus seiner Wahlheimat, den Reservaten Pine Ridge und Rosebud sowie den Black Hills.
Als Jim Boyd nach einer Kurzen Ansprache von Mitveranstalter Claude Jaermann und einem eindringlichen Gesang von Charly Juchler in der Sprache der Lakota mit schwerem Gang die geschmückte und mit Kerzen ausgeleuchtete Bühne betrat, platzte die Alte Kaserne buchstäblich aus allen Nähten. Bis auf den letzten Platz war der Saal gefüllt, auch Reservestühle reichten nicht aus, um allen eine Sitzgelegenheit zu offerieren. Beim letzten Auftritt des Singer/Songwriter präsentierte sich ein anderes Bild; nur wenige fanden damals den Weg in die Alte Kaserne. Vor der Bühne hatte es sich eine Kinderschar gemütlich gemacht. Das Konzert war ohnehin ein generationsüberspannender Anlass, zu dem sich junge und alte Freunde der "indianischen" Kultur einfanden. Sogar aus dem süddeutschen Raum und der Romandie waren sie gekommen, um dem einzigen Auftritt von Jim Boyd in unseren Breitengraden zu lauschen.
Wäre Jim Boyd ein weisser Singer/Songwriter, der Saal wäre kaum so prall gefüllt gewesen. Das hat nichts mit Qualität und Talent zu tun, die beim Gitarristen, Liedermacher und Sänger aus dem US-Staat Washington in hohem Masse vorhanden sind, sondern einzig und allein mit der Tatsache, dass Singer/Songwriter eher ein kleines, fachkundiges Publikum anziehen. Aber Boyd ist nicht irgendein weisser Liedermacher, sondern einer der bekanntesten Vertreter der Native Americans, dessen philosophische, weltanschauliche und politische Ansichten auch vom europäischen Publikum geschätzt und getragen werden.
"Nammy" - Sänger
Die Musik hätte bei diesem Umstand leicht ins zweite Glied verdrängt werden können, aber mit Jim Boyd war ein Mann in Winterthur zu Gast, der auch als Musiker beachtliche Erfolge vorzuweisen hat. Gemeinsam mit seinem Freund Alexie Sherman erhielt er 2002 den "Native American Music Award", kurz "Nammy" als Gegenstück zum viel bekannteren "Grammy" genannt, für die Filmmusik zu "Smoke Signals". Es ist der erste Film, der von A bis Z von Native Americans realisiert wurde. Zudem wurde im letzten Herbst seine immer noch aktuelle CD "AlterNative" als bestes Album des Jahres mit einem "Nammy" prämiert.
Unprätentiös und mit erstaunlicher Gelassenheit sang Jim Boyd zwei Stunden lang bewegende Lieder über die schwierige Situation seiner Brüder und Schwestern, über die aktuelle Politik aus Washington, die Jim Boyd Kopfzerbrechen bereitet,
und über seinen früheren Kampf mit dem Dämon Alkohol, den er für sich entscheiden konnte.
Es waren keine Fingerzeig-Lieder, sondern stimmige, poetisch angehauchte Lieder, die Jim Boyd in klassisch amerikanische Singer/Songwriter-Strukturen kleidet, die an grossen Figuren wie Neil Young oder Jackson Brown erinnern. 

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