Logo

Landbote vom Februar 2002


"Von den Lakota-Indianern adoptierter Winterthurer"
von Alexandra Suter

Eines Nachts, als Seemann im arktischen Meer, fasste er den Entschluss, sich bei den Lakota-Indianern in den Black Hills niederzulassen. Das war vor zehn Jahren. Heute lebt Charly Juchler im Reservat der Lakotas (Sioux).
Seinen Lebensunterhalt verdient er, indem er indianisches Kunsthandwerk in die Schweiz verkauft und Kultur- und Landschaftsreisen durchführt.
Ganz so spielend einfach wie's tönt, hat sich diese Geschichte nicht abgespielt, eigentlich fing sie schon viel früher an: Bereits als Kind hatte der heute 38-jährige Winterthurer jedes Indianerbuch, das ihm in die Hände geriet, verschlungen. Die Lakotas und ihre Heimat, die Black Hills im US-Bundesstaat South Dakota, hatten ihn besonders fasziniert.

«Ich habe früh gemerkt, dass ich mich persönlich als Mensch in der indianischen Lebensweise gut ausdrücken kann», erzählt Juchler. Unter «Sich Ausdrücken» meint er nicht etwa ein äusserer Stil, an dem ihn jeder erkennen kann, sondern Lebensart, Philosophie und Spiritualität einer urtümlichen Kultur. Ein schmales, blaues Band am Handgelenk ist zurzeit das Einzige an seiner äusseren Erscheinung, was auf ein besonderes Interesse an der indianischen Kultur hinweisen könnte.
Seine erste Reise in die Black Hills unternahm Juchler als 19-Jähriger, ohne jedoch Einheimische näher kennen gelernt zu haben. Fünf Jahre später packte er die Gelegenheit beim Schopf, während dreier Monate in den Black Hills für ein Unterstützungsprojekt von Service Civil Freiwilligenarbeit zu leisten und sich dabei in die indianische Kultur zu vertiefen. Als die Zeit um war, ging der gelernte Maschinenmechaniker nicht zurück nach Winterthur, sondern heuerte als Seemann an und verbrachte die folgenden sieben Jahre auf den Weltmeeren. Seine jährlichen zwei, drei Monate Ferien am Stück verbrachte er bei den Lakotas, wo er Freundschaften pflegte und viel über indianische Traditionen und Philosophie lernte. Allmählich konnte er das Vertrauen der einheimischen Bevölkerung gewinnen, was ihm vor sieben Jahren den Schritt, im Reservat zu leben und zu arbeiten, wesentlich erleichterte. «Da ich mich beispielsweise an die Sitte hielt, beim Begrüssen nicht direkt in die Augen des Gegenübers zu schauen, behandelten sie mich nicht wie einen Fremden», erzählt Juchler.
Vor einigen Jahren hat ihn eine Lakota-Familie «adoptiert». Dieser traditionelle, indianische Ritus ehrt, aber verpflichtet auch, sich gegenseitig zu unterstützen, wenn's nötig ist. Dennoch ist sich Juchler der Tatsache bewusst, selbst kein Indianer zu sein: «Ich bin in der Schweiz geboren, und das wird wohl seinen Grund haben». Der Winterthurer stösst zudem an sprachliche Barrieren. So unterhält er sich mit den Lakotas auf Englisch, da sein Wortschatz in der Lakota-Sprache begrenzt ist und sich auf Lieder oder Begriffe beschränkt, welche in Philosophie oder Religion eine grosse Rolle spielen. Trotzdem: Heute kann er in den Black Hills auf ein weites Kontaktnetz zählen, das von guten Freunden bis zu lockeren Geschäftsbeziehungen reicht. Von einheimischen Künstlern erwirbt er qualitativ hoch stehendes Kunsthandwerk und verkauft es in der Schweiz, meist anlässlich von Ausstellungen und Diavorträgen über die Lakotas. Immer wieder liefert er auch Kunstobjekte dem Zürcher Indianermuseum und ausgewählten Läden. Seine Verkaufsaktivitäten in der Schweiz dauern jeweils zwei bis drei Monate im Winter. Danach treibt es ihn wieder zurück in seine Wohnstadt Rapid City. Von da aus führt er den Sommer hindurch kleine Gruppen von interessierten Schweizern, Deutschen oder Österreichern durch schöne Naturlandschaften, macht sie mit Lakota-Persönlichkeiten und kulturellen Riten bekannt, ohne über die sozialen Probleme im Reservat hinwegzutäuschen.
Für ihn selbst sind diese Reisen keine Ferien, sondern Arbeit. Die meiste Zeit, sowohl in der Schweiz wie in South Dakota, verbringt er mit Tätigkeiten wie Organisieren und Kontaktieren von Künstlern und Kunden. Wichtige Arbeitsmittel sind dabei Computer und E-Mail, wichtigste Transportmittel Auto, Flugzeug und Pferd. Selten, wenn's sein Terminplan zulässt, geht er fischen oder jagen. Mit hiesigen Klischee-Vorstellungen von einer «Indianerromantik» habe sein Leben wenig zu tun. Ebenso betont er, seien die Indianer nicht die besseren Menschen als wir.
Seit Anfang der neunziger Jahre der Film «Dances with Wolves» die Indianer wieder ins Blickfeld des öffentlichen Interesses gebracht hat, boomt der Tourismus in den Reservaten. Zum einen findet Juchler dies positiv, denn das Bewusstsein der eigenen Kultur, Philosophie und Kunst sei dadurch wieder gestärkt worden. «Der Film hat jedoch zahlreiche Esoteriker angezogen, welche indianische Traditionen verfälschen oder Geschäfte damit betreiben.» Die Rituale indianischer Spiritualität, die auch ihn faszinieren, sieht er am liebsten von den Indianern selbst ausgeführt, in traditionellem Sinne. Juchler glaubt zwar, dass die Reservate in 20 bis 30 Jahren aufgelöst sein werden, das Leben der Indianer ebenso modern wie unseres sein wird und sich das Rad der Zeit nicht zurückdrehen lässt. «Wohin man aber auch geht, soll die Verbindung mit dem Urtümlichen bestehen bleiben», fügt er hinzu. Für sich selbst weit in die Zukunft schauen mag er nicht. Einer indianischen Anschauung entsprechend versuche er so zu leben, dass die sieben Generationen nach ihm stolz auf ihn sein werden und die sieben Generationen vor ihm stolz auf ihn wären.

Top