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Bote vom Untersee vom 28.05.2004


"Mich fasziniert, wie auch andere von den Lakotas fasziniert sind"

(iw) "Chante wakan" heisst soviel wie "Heiliges Herz" in der Sprache der Lakota-Indianer. Gemeint damit sind die Black Hills, die älteste Bergregion der Welt. Dort hat sich Charly Juchler niedergelassen, im Staat South Dakota, USA. Seit elf Jahren organisiert er Ausstellungen in der Schweiz und verkauft das Kunsthandwerk der Lakotas. Besser bekannt ist das Volk unter dem Namen "Sioux", wie es von den Franzosen genannt wurde. In der kleinen Ferienwohnung in Ermatingen sieht es nicht nach Urlaub aus. Überall stehen grosse Kisten herum Sie sind gefüllt mit Kunstgegenständen, Schmuck, Trommeln und Lederresten. Über dem Sofa liegt ein Bisonfell, zwischen bestickten Mokassins und einer indianische Kindertrage. "Ich bin dauernd am Ein- und Auspacken" erzählt Charly Juchler. "In ein paar Tagen beginnt meine nächste Ausstellung und schon bald geht's zurück nach Amerika."
Schon als Kind habe ihn die Natur fasziniert und aus irgend einem Grund speziell die Black Hills-Region. Er hätte die Indianerbücher verschlungen und damals schon gewusst: "Dort gehe ich einmal hin." Das hat er auch verwirklicht, nachdem er in Winterthur die Ausbildung als Maschinenmechaniker absolviert hat. Zwei Tage nach der Lehrabschlussprüfung hat er sich auf den Weg zu den Black Hills gemacht. "Ich habe gewusst, dass die Realität anders aussieht und die Indianer nicht mehr so leben wie früher." Trotzdem sei er schockiert gewesen, so viele alkoholisierte Menschen zu sehen, die wie tote Fliegen herumlagen. In den 80er Jahren sei es in den Reservaten noch viel schlimmer gewesen als heute.
Diese erste Erfahrung mit Armut und dieser Kultur war für Charly Juchler sehr wichtig und liess ihn auch in den nächsten drei Jahren in der Schweiz nicht mehr los. Immer auf der Suche nach einem neuen Weg, stiess er zufällig im Wartezimmer einer Arztpraxis auf eine Zeitschrift. Per Inserat wurden junge Freiwillige gesucht um an einem Projekt im "Pine Ridge-Lakota-Reservat" mitzuarbeiten. "Ich wusste sofort, das ist meine Aufgabe - ich muss dorthin." Die Unterstützungsarbeit bestand darin älteren Leuten zu helfen; das ging von Salbei sammeln, über Häuser malen bis zu Autos flicken. Im Vordergrund stand aber der Kulturaustausch zwischen jungen Leuten und den Lakotas, von denen nur noch zwanzig Prozent traditionell leben.
Als die vier Monate Projektarbeit vorbei waren merkte Charly Juchler, dass noch vieles von der Lebensphilosophie der Lakotas existiert und wollte mehr erfahren über die Heilkunst, die Sprache und die Lieder. "Die Leute haben gemerkt, dass es mir ernst ist und dass ich den Respekt vor ihnen gewahrt habe. Das hat mir den Zugang zu ihnen verschafft", meint der 40-Jährige. So kehrte er jeweils nach ein paar Arbeitsmonaten in der Schweiz zurück, um im Reservat mitzuhelfen. 1988 anerbot sich gerade rechtzeitig, als er sich wieder neu orientieren wollte, ein Stellenangebot von Greenpeace.
Er hatte sich drei Jahre vorher bei der Umweltorganisation. als Bordmechaniker beworben und konnte nun auf verschiedenen Schiffen gegen Walfang und Umweltzerstörung in einer Crew mitarbeiten. "Ich packte meinen Seesack und reiste sofort nach Hamburg und sah die Schweiz erst vier Jahre später wieder." Die Aktionen fanden in der Arktis, in Mittel- und Südamerika, an der Nordsee und im Mittelmeer statt. "Oft war es gefährlich, aber wir haben viel Gutes erreicht." Nach sechs Jahren war es an der Zeit etwas neues zu suchen und ein Freund brachte ihn auf die Idee etwas aus seinen Beziehungen zu den Lakotas zu machen. All die Jahre hatte er es geschafft einmal im Jahr nach Dakota zu gehen, das war ihm wichtig.
An Weihnachten 1993 gelang es ihm bereits, seine erste Ausstellung in Aadorf zu organisieren. Durch seine langjährigen Beziehungen hatte er Künstler gefunden, die Kunstgegenstände traditionell und aus ursprünglichen Materialien herstellen. "Innerhalb von zwei Tagen war ohne grosse Werbung alles ausverkauft" erzählt er. Das war die Bestätigung weiterzumachen. Ein Jahr später machte er seine zweite Ausstellung im Thurgau und wurde angefragt, ob es keine Möglichkeit gäbe, durch ihn Lakotas kennenzulernen. Das brachte ihn auf die Idee Reisen zu organisieren.
Seit neun Jahren sind die vier Reisen pro Jahr stets ausgebucht. Es macht Charly Juchler Freude, dass er damit nicht nur einen Teil seines eigenen Lebensunterhaltes verdienen, sondern direkt die Lakotas unterstützen kann. Er ermöglicht so seiner Reisekundschaft einen Zugang zu Menschen und Orten, die sie alleine nicht erleben könnten. "Es fasziniert mich, wie auch andere Menschen davon fasziniert sind." Nebst Reitausflügen und Übernachtungen im Tippi, gibt es auf den Touren Gelegenheit traditionelle Geschichtenerzähler und Künstler kennenzulernen. Es soll keine Reise in die Esoterik sein, erklärt er. "In der Schweiz versuchen viele Leute Spiritualität zu verkaufen ohne ein Hintergrundwissen zu haben. Mir ist es wichtig, dass die Leute, die mich besuchen auch die Zusammenhänge und die Geschichte der Indianer kennenlernen und was das in der heutigen Zeit bedeutet."
Wenn er in der Schweiz ist vermisst er die Weite und die Stille der Black Hills-Region. Dafür geniesst er es nach Appenzell zu gehen und eine Folkoreveranstaltung zu besuchen. Er habe gute und stolze Gefühle, ein Schweizer zu sein und komme immer gerne zurück. "Mit dem, was ich für die Lakotas mache, kann ich mehr Positives bewirken für ihre Kultur, als wenn ich dort aufgewachsen wäre. Es hilft mir, alles mit einem gesunden Abstand zu betrachten.

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