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Landbote vom Dezember 1996


"Ich verstehe mich als Brückenbauer zwischen zwei Welten"
von Susanne Schmid

Er war 14 Jahre alt, als er beschloss, ein unkonventionelles Leben zu führen. Heute lebt Charly Juchler während neun Monaten im Jahr in Rapid City, South Dakota, USA, und den Rest des Jahres in Winterthur.
"Ich habe nie zu jenen gehört, die sagen mir stinkt's in der Schweiz. Ich bin vielmehr dankbar, dass ich hier aufgewachsen bin." Charly Juchler ist 1963 in Winterthur geboren. Schon als Kind hatte ihn die Kultur der Indianer interessiert. Von Sitting Bull bis zu Crazy Horse und anderen Büchern las er alles, was er über die Black-Hills-Region in die Finger bekam. "Ich wusste mehr über die Lakota-Sioux als über den Rütlischwur."

Doch während sich bei anderen diese Faszination im Erwachsenenalter verflüchtigt, hat Charly Juchler sie bewahrt. Aus diesem Grund entschloss er sich vor drei Jahren, in South Dakota zu leben.
Auch er hat sich in der Pubertät allerdings für anderes - zum Beispiel die Mädchen - interessiert. Doch der Tod seines Vaters hat den damals 14jährigen geprägt. Sein Vater sei für ihn mehr ein Freund als ein Vater gewesen. Trotz des Schockes über den Verlust hat Charly Juchler die Lehre als Meschinenmechaniker abgeschlossen und noch die Handelsschule besucht. So, wie er es mit seinem krebskranken Vater besprochen hatte. Die tiefe Trauer weckte sein Interesse für das Leben der Indianer wieder. Die Erinnerung an die Gefühle aus der Kindheit gaben ihm Halt. Mit 20 Jahren reiste er dann zum ersten Mal ins Pine-Ridge-Reservat in den USA. "Da kam ich auf die Welt. Ich wusste zwar, dass die Realität anders ist, als sie in den Büchern beschrieben wird. Aber so hatte ich sie mir nicht vorgestellt." Damals waren 90 Prozent der Bevölkerung alkoholabhängig; heute sind es 80 Prozent.
Doch die Faszination für das Land, die Kultur und das Wertesystem der Lakota blieb: 1987 kehrte Charly Juchler im Dienste von "Service Civil International" für fünf Monate ins Pine-Ridge-Reservat zurück. Während dieser Tätigkeit - er erledigte einfache Arbeiten für einfache Leute - lernte er "die anderen 10 bis 20 Prozent der Bevölkerung" kennen. Jene, die nicht alkoholabhängig sind und die indianische Kultur und Tradition pflegen und bewahren. In dieser Zeit knüpfte er auch erste Freundschaften. Auf die Monate im Reservat folgten sieben Jahre auf hoher See als Bordmechaniker bei "Greenpeace International". Doch nach so vielen Jahren auf einem "Greepeace"-Schiff fühlte sich Charly Juchler ausgelaugt, und er beschloss, den Job aufzugeben. Wie aber sollte es weitergehen? "Zurück nach Hause in einen 8-bis-17-Uhr-Job - das konnte ich mir nicht vorstellen." Er hatte die Landurlaube jeweils in Kanada verbracht. Er besass dort ein Stück Land und ging während der Wintermonate auf die Jagd. Zwischendurch reiste er immer wieder nach South Dakota, um den Kontakt zu seinen Freunden dort zu pflegen.
Als der Film "Der mit den Wölfen tanzt" herauskam, begann der Handel mit indianischen Handarbeiten zu boomen. In den USA schossen Läden und Galerien, die indianisches Kunsthandwerk verkauften, aus dem Boden. "Ich realisierte, dass viele Händer die Handarbeiten für ein Butterbrot erwarben, um sie teuer weiterzuverkaufen." Charly Juchler beschloss deshalb, in dieses Geschäft einzusteigen, das Kunsthandwerk jedoch bei seinen Lakota-Freunden zu fairen Preisen einzukaufen und sie in der Schweiz - ohne Zwischenhändler - zu angemessenen Preisen zu verkaufen.
Heute verdient Charly Juchler seinen Lebensunterhalt mit dem Verkauf von Kunsthandwerk aus dem Pine-Ridge-Reservat und mit Reisen, in denen er viermal im Jahr eine kleine Gruppe von Touristen zu seinen indianischen Freunden führt. Dabei arbeitet er eng mit dem Indianermuseum in Zürich zusammen. Einmal im Jahr ist er mit seiner Verkaufsausstellung in Winterthur zu Gast; dieses Jahr bis am Freitag in der Alten Kaserne.
Es ist Charly Juchler aber auch wichtig, etwas von der Lebensphilosophie und den Werten der Indianer vermitteln zu können. "Obwohl es falsch wäre zu glauben, die Indianer seien die besseren Menschen als wir. Sie haben nur das bessere Wertesystem." Schliesslich versteht sich Charly Juchler als Brückenbauer zwischen den Welten. Dabei distanziert er sich von der New-Age-Bewegung. Sie ziele zwar in die richtige Richtung. Die Menschen suchten nach neuen Werten, und das sei sicher angebracht. Sie blieben dabei aber allzu oft an der Oberfläche. Da würden Teile aus verschiedenen Kulturen herausgerissen, ohne dass man sich um den Zusammenhang kümmere oder sich mit dem Hintergrund befasse. Sozusagen als Symbol verkauft Charly Juchler denn nur die Hüllen von Friendespfeifen und nicht die Pfeifen selber.

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