GEDANKEN AUS DEM MONAT DER STILLE
canna popa wi / der monat der brechenden bäume ufert langsam in seine letzten tage. einmal mehr sitze ich hier am feuer in den winterlichen , stillen black hills und lausche dem rauschenden wind.
wazia / der weisse riese aus dem norden bläst seine kälte , unbarmherzig mit schnee und eis ins land. ich denke an all die freien tiere hier draussen und wundere mich immer wieder , wie die starken und gesunden daraus hervorkommen , damit das leben seinen neuen zyklus beginnen kann.
dieser , mein monat der stille , war für mich mehr von einsamkeit als von kraft und alleine sein geprägt. die vergangenen 12 monde waren eine herausforderung mit momenten des glücks und tiefer dunkelheit ; das leben halt , wie wir es alle immer wieder einmal erfahren. wer macht unser leben? sind es „nur“ unsere eigenen entscheidungen welche wir treffen , die das glück , die liebe , unseren weg bestimmen? oder ist es das schicksal , kombiniert aus der summe unserer erfahrungen , ängsten , hoffnungen und träumen welche uns bewegen? ich für mich denke , es ist eine kombination von allem , bei welcher man stetig aufmerksam sein sollte , sich selbst nicht zu verlieren. das leben , ein gefäss voller schönster farben und doch so tief verletzlich. der erdrückende job , die disharmonische partnerschaft , der krankmachende wohnort usw. stiehlt und zerbricht unsere träume , visionen und die freiheit sich selbst zu sein.
ich halte inne und verspüre so eine tiefe dankbarkeit mein eigener chef zu sein und meine träume zu einem wichtigen teil zu leben. und doch ; vor zwei wochen war ich im pine ridge reservat unterwegs. es war spätabends auf einer landstrasse mitten im nirgendwo. oh , ich liebe es durch die nacht zu fahren , kein licht soweit man sieht. die erdstrasse war voller schlamm und schnee , ich versuchte dem eis auszuweichen und schleuderte einen abhang hinunter wo ich mit grossem krachen stehen blieb. ich war zerschlagen aber unverletzt , stieg aus dem auto heraus und versank bis zu den knien im schweren schlamm. ich hievte mich heraus aber meine schuhe und socken blieben auf nimmerwiedersehen im dreck verschlungen. drei meter dauerten eine ewigkeit , ich ergab mich meinen strapazen und fiel rücklings und barfuss in den nassen schnee. die sterne funkelten , meine gedanken kreisten wie ich wohl hier wieder wegkomme , niemand fährt diese strasse noch in dieser nacht. meine füsse fingen an zu erstarren und so auch mein ganzes sein. ich fühlte mich so müde , so unbeschreiblich müde von allem , von meinem leben und dessen weg. meine freiheit , mein selbst-sein kam mir vor wie ein gefängnis. ein leeres gefühl aus meiner kindheit überkam mich und legte eine dunkle , schwere decke auf mein herz ; eine erinnerung die mich bis heute prägt. ich gab mich hin und hielt es aus.
aus dem funkeln der sterne hervor , spürte ich eine stimme , eine stimme des vertrauens , des verstehens und der hingabe. eine tiefe geborgenheit überkam mich und machte mich stark. ich rappelte mich aus dem matsch und robbte an meinem aus der kaputten kühlanlage zischenden auto vorbei , zur strasse hoch. endlich , ich fing an zu fluchen und lachen , während ich meine füsse massierte und wusste , ich werde heute nacht stark sein. stark sein ; wie ich es immer war in meinem leben , wenn nicht aus mut dann aus verzweiflung. lichter zerzausten die dunkelheit , ich konnte es kaum fassen , ein auto kommt! ich raffte mich auf und winke auf das auto ein. der pickup kommt im schlamm zum stehen , ein lakota mann mit seinem sohn steigen aus , checken mich ob ich ok bin und fragen was passiert ist und ob ich mir keine schuhe leisten kann. wir lachen und ich sage ihm „schau mein auto da unten….“ er sagt ; „schau mein anhänger da hinten“. ich konnte es kaum fassen , ein autoanhänger! ich schaue in die sterne , „thank you tunkashila“, sage ich still , „I have learned something tonight / ich habe etwas gelernt heute nacht“. nach einer ewigkeit haben wir mein auto mit einer seilwinde aus dem abhang herausgezogen und aufgeladen. „ich bringe dich nach hause“ hat er gesagt , „heute ist eine gute nacht“. ich denke mir , ich war zur falschen zeit am richtigen ort. wir fahren zwei stunden durch die schwarze weite richtung black hills. wir reden nicht , es gibt nichts zu reden , es ist einfach nur gut. einmal doch sagte er , Chuck heisst er „Charly what‘s your dream / was ist dein traum?“ ich antworte „to be alive , really alive , like the wind , like a song , like love and peace / am leben zu sein , wirklich am leben , wie der wind , wie ein lied , wie liebe und frieden“. er nickte und sagte „hetschetuelo / das ist gut , so soll es sein“. ich kam nach hause , zur richtigen zeit zum richtigen ort.
vor ein paar tagen ; ich sitze in einer inipi / schwitzhütte , zusammen mit etwa 20 lakotas. es ist wieder nacht und die silhouette des feuers draussen zerfliesst mit den hügeln der weiten prärie. die glühenden steine , die menschen , ein bild so alt wie es lieder gibt. ich werde daraufhin eingeladen an einer yuwipi / heilzeremonie teilzunehmen. ich war schon bei vielen dabei , aber diese wird mir in besonderer erinnerung bleiben. so viele menschen (ca. 60) , vom säugling zur greisin sitzen zusammen. die medizinperson , der altar , wir teilnehmer bringen das leben unserer realität mit der anderen dimension von essenz / tunkashila zum vibrieren. wir werden alle eins mit allem was ist.
nein!! lakota ist nicht = alkohol und drogenmissbrauch , gewalt und sozialem zerfall und all dem schlimmen welches kolonialisierten menschen wiederfährt , welche wir alle auf eine weise auch selber sind. lakota ist liebe zu allem was ist. das verständnis das in jeglicher schöpfung die seelen ihr lied singen mit dem traum in freiheit zu lieben und zu leben.
ich treffe an der yuwipi zeremonie einen alten freund den ich schon viele jahre nicht mehr getroffen habe. wir erzählen bis tief in die nacht hinein. ich offenbare ihm meine vergangenen zwölf monde , meine zweifel an mir selbst als mann und über meine arbeit von chante etan. wir diskutieren über das schicksal , welches wir mit unseren entscheidungen mitgestalten. es ist still , nach einer weile unterbricht Floyd die nachdenklichkeit und sagt „weisst du Charly , ich kenne dich nun fast 30 jahre. ich weiss was du alles gemacht hast in deinem leben , keine träume und lebens-theorien , welche die meisten menschen schlussendlich in ihrer angst um sicherheit nie umsetzen. wie ich dich kenne bist du nie den einfachsten weg gegangen und hast dich nicht wie die meisten menschen im sogenannten gutbürgerlichen angepasst. sei stolz auf dich und das was du geschaffen hast. the people depend on you. denk an die menschen die du berührst , inspirierst , vermittelst , es ist gut“.
Floyds worte entflammen mein herz , es tut gut und er erzählt mir weiter , was mich zutiefst berührt: „Charly , ein erlebnis das mir immer in erinnerung bleiben wird ; als ich vor vielen jahren dazukam wie dein pferd einen unfall hatte und beide beine gebrochen hatte , habe ich gesehen wie sehr du dieses pferd geliebt hast. du bist daneben gesessen und hast geweint und ihm ein lied gesungen , dann bist du aufgestanden und hast ihm zweimal in den kopf geschossen. das bist du , jeder andere den ich kenne hätte jemand anderen gefragt es zu töten. wären wir in der alten zeit wäre es mir eine ehre gewesen mit dir zusammen zu reiten. es tut gut dich zu wissen.“ ich bin beschämt und verberge meine tränen. die wohl für mich bedeutungsvollsten worte , welche mir je ein lakota freund geschenkt hat. zur richtigen zeit am richtigen ort. die reise geht weiter , danke leben , ich liebe dich.
von Hermann Hesse:
„viele starren wie gebannt nur auf den anderen menschen , sie sind zwanghaft darauf fixiert , als ob es nur hetero-oder homoerotische liebe in ihrem leben gäbe. wenn ich von liebe spreche , meine ich die liebe zur und von der gesamten natur. wir bekommen täglich liebe von der sonne , von den pflanzen , von den tieren – viele sind seelisch stumpf gegenüber dieser energie. du wirst geliebt in einem strom dieser energie , wie kannst du da jemals einsam sein? treulose liebe , dir bin ich treu. lebendigkeit , die nicht konserviert werden kann , ist treulos , grenzenlos , ist sterben und aufleben und erneutes sterben und erwachen. liebe und leben ist freiheit , das aber heisst , sich von sicherheit zu verabschieden“.
danke für eure zeit. good night and good luck.
charly juchler / wo-lakota-to-cho
p.s.: ich freue mich mit meinem lakota freund und philosoph Vance Blacksmith im märz mit workshops und vorträgen zurück in meiner alten heimat zu sein.
ihr habt mein leben beschenkt
Karin Dähler
1968 – 2016
Ich bin ich, ihr seid ihr.
Das, was ich für Euch war, bin ich immer noch.
Gib mir den Namen, den du mir immer gegeben hast.
Lache weiterhin über das, worüber wir gemeinsam gelacht haben.
Ich bin nicht weit weg. Ich bin nur auf der anderen Seite des Weges.
Jim Boyd
1956 – 2016