Logo

Newsletter: 04/2015 Gedanken aus dem Monat der Stille


liebe chante etan freunde und interessierte

seit knapp zwei wochen bin ich nach einer intensiven reise- und arbeitszeit wieder aus der schweiz zurück , hier in meinem zuhause in den black hills angekommen.

es ist mitten in der nacht und ich schreibe meine gedanken nieder. diese kreisen in anbetracht eines momentes welchen ich heute erlebt habe , mit dem bewusstsein , dass die endlichkeit des lebens keine grenzen und barmherzigkeit beinhaltet.

wie gut es tat , heute wieder mit meinen langjährigen lakota freunden/brüder francis und lionel in der inipi/schwitzhütte zu sitzen. die glühenden steine in unserer mitte schenkten uns durch ihre kraft einmal mehr , etwas an weisheit und heilung.
draussen ist es dunkel , es regnet leicht und wir reden nicht viel. wir sind einfach verbunden in der essenz unseres sonnentanzes und was dieser bedeutet , das beste aus uns zu machen in anbetracht der vorfahren und derer die noch kommen , mit dem dilemma der eigenen menschlichkeit.
ich fühle über einen moment nach , welchen ich auf dem weg zur inipi erlebt habe. vom strassenrand aus sah ich einen blumenkranz bei einer verfallen hütte hängen. der kranz war frisch und verlassen. aus einem grund stoppte ich und lief dorthin. dort lag eine karte mit einfachen worten des vermissens und dem foto eines teenager lakota mädchens , welches sich hier vergangene woche das leben nahm. eines von vielen jugendlichen , welche sich in den reservaten aus verzweiflung gegenüber der leere und sinnlosigkeit ihrer existenz und aus dem rahmen einer kaputten familie heraus , in den tod flüchten. ich setze mich hin , ein einsamer wind huscht mir übers gesicht , bis tief ins herz , als sitze der schatten dieses mädchens neben mir. das einzige was garantiert ist im leben , ist der schmerz , denke ich. wir werden unter schmerzen geboren und die allermeisten von uns werden unter schmerzen sterben. alles andere dazwischen machen wir uns selbst. was aber wenn man keine chancen hat? wie wohl dieses lakota mädchen , die leute auf diesen flüchtlingsbooten oder die menschen unter den trümmern des erdbebens in nepal? was , wenn man keine chancen hat !?

ich halte inne und denke über die vergangenen monate nach. über die schicksale , das glück und die träume der menschen , welchen ich durch arbeit und reisen begegnen durfte. ich war in dieser zeit so aufmerksam , wach und vielleicht etwas überfordert , denn im januar begegnete mir einmal mehr meine eigene endlichkeit. diese überkam mich im paradies einer bezaubernden karibikinsel in der form eines schweren krankseins , welches mich an die grenzen trug. mehr psychisch in schmerzen als physisch , schleppte ich mich zurück in die black hills , wo ich das schlimmste erwartete. aber es war nicht meine zeit zu gehen.
mein spruch „ich möchte 94 jahre alt werden und erschossen von einem eifersüchtigen ehemann“, hat in dieser zeit seinen witz verloren und das ist gut so. die endlichkeit kennt keine grenzen und barrieren , sie ist dort wo wir im nebel wandern.

gestern habe ich in der zeitung gelesen , dass aus 160 untersuchten ländern die schweizer das glücklichste volk seien. shit! , habe ich gedacht ; diese wissenschaftler-clowns waren wohl noch nie im zug nach zürich um 6 uhr 30 morgens. und was ist glück? ich habe es verpasst meinen neffen stefan zu fragen , bevor er mit seinen 27 jahren vor den zug rannte. im radio vergeht fast kein tag ohne meldung „sbb personenunfall“. warum sagt man eigentlich nicht die wahrheit , in unserem überfüllten glücklichsten land , mit der höchsten selbstmordrate europas? liegt das glück im kommerz , des angepassten , oder hinter der schminke des cool-seins?
ist es etwa „geiz ist geil“, oder „pop-yoga“, cappuccino und chay tee? who knows? ich glaube dieses mädchen , welches sich hier erhängt hat , wollte eigentlich nur liebe und würde , sowohl auch mein neffe. Mitakuye Oyasin , wir sind wahrlich alle eins.

„Anp“ das erste licht , wie die lakotas sagen , reflektiert sich in den glühenden steinen in unserer mitte. sie schenken mir ein gefühl des glücks. mit vielem verpassten , so wie bei meinem neffen , erkenne ich aber das privileg , durch meine chante wakan reisen als brückenbauer das beste von mir zu geben. es soll mir einmal mehr eine ehre sein und eine grosse freude die erste reise des jahres demnächst zu begrüssen.

ich schaue zu francis und lionel hin , auch sie sind versunken in ihren gedanken. die vernarbten körper sprechen bände und ich denke , das leben ist ein geschenk , machen wir daraus ein geschenk zurück , solange wir können.

in erinnerung an meinen freund mario „coyote“ ghenzi , welcher als mediziner sein bestes gab. 1954 bis 2015. möge seine seele in seinem geliebten land der blauen steine zuhause sein.

danke für eure zeit, good night and good luck, charly

Top